Ausstellungen
Die Galerie Amalienpark | Raum für Kunst wird in von Claude Keisch oder Christian Ulrich kuratierter Folge Kabinettsausstellungen aus den reichen Beständen der Hans-Vent-Stiftung zeigen. Jährlich werden drei solcher Ausstellungen erfolgen.
»Es gibt nicht viele Maler, von denen ich so sehr sagen möchte: seine Bilder seien geträumt. Nicht nur in dem Sinne, dass ihre unwirklichen Konfigurationen an Traumphantasien erinnern; sondern in dem allgemeineren, dass sie erst vor unseren Augen zu entstehen scheinen, weil die Gestalt, die sie vor den Augen des Malers angenommen haben, nicht planbar war. Unter den vielen schwarzweißen oder aquarellierten Skizzen, die ganz ähnliche Motive zeigen wie die Öl- und Deckfarbenbilder, die hier hängen, ist sicher keine als „Kompositionsentwurf“ gemeint oder genutzt worden. Es gibt keine Abfolge etwa von Konzipieren, Komponieren, Ausführen. Alles geschieht simultan, in heiterer Malerlaune, das Verwerfen eines Zustandes ist jederzeit Teil einer Spielregel, die Reue und Selbstquälerei auszuschließen scheint. Improvisation und Konzentration, sie kooperieren bei Hans Vent. Konzentration ist die Voraussetzung des glücklichen Improvisierens. (…)«
(aus der Laudatio von Claude Keisch, Ausstellungseröffnung am 22. Februar 2019 in der Galerie der Graphikpresse, Berlin)
Ausstellung in der Galerie Roter Pavillon Bad Doberan
»Strand / Figur«
Sylvia Hagen / Skulptur – Hans Vent / Malerei, Zeichnug
22. März 2024 bis 11. Mai 2024
Kuratiert von Christian Ulrich
Ausstellung in der Galerie Amalienpark | Raum für Kunst
Hans Vent – Im Raum der Figur
Malerei, Grafik, Plastik
13. Januar 2024 bis 17. Februar 2024
Kuratiert von Christian Ulrich
Hans Vents Bilderfindungen und Motive in Malerei, Grafik und Plastik beruhen auf Seherlebnissen und Seherfahrung, auf Anschauung und der Konsequenz von Werkentscheidungen. Sie entstanden in Bezug und Reibung mit dem aufgerissenen Feld der Bild- und Spielmöglichkeiten, das die Klassische Moderne zu Beginn des 20. Jahrhunderts eröffnete. Im Raum dieser Möglichkeiten suchte Hans Vent eine eigene Behauptung von Figur als Bildfiguren, die gerade im Spätwerk also weniger Abbild oder Menschenbild, sondern vorrangig »Bildmenschen« sind.
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Der Titel der Ausstellung »Im Raum der Figur« bezieht sich also zum einen auf den Echoraum von Tradition, Anregung und Erweiterung innerhalb der Entwicklung figürlicher bildender Kunst. Zum anderen scheinen Vents Figuren aus sich heraus ihren eigenen Raum zu definieren. Sie verschränken sich in der Malerei nicht mit gebautem Raum und beziehen ihren Maßstab selten aus der Einordnung in Relationen. Auch die Plastiken von Hans Vent sind kein verschlossenes, raumabweisendes Gegenüber, sondern bilden einen Ort aus den Verschränkungen der Gliedmaßen und den Beugungen von Volumen, der sich zum Betrachter öffnet und Einlass gewährt.
Während der Künstler am Anfang des Werkes die Figur noch zur Landschaft in Beziehung setzt oder sie verknüpft mit Innenraum und Dingwelt, löst er sie im Fortgang des Werkes zunehmend aus konkreter landschaftlicher Gebundenheit, wie er sie auch freistellt von zeitgenössischer Bekleidung und der Zuordnung zu Gegenständen. Ein äußerer Beweggrund für diese Entscheidung mag in der frühen Verweigerung gegenüber den Forderungen der Kunstpolitik der DDR nach Gesellschafts- und Zeitbezug, nach Abbildern geschönter Wirklichkeit und Schilderungen aus der Arbeitswelt zu finden sein. Jedoch bildet sich in dieser fortschreitenden Konzentration wohl auch Vents Interesse an den Möglichkeiten figürlicher Bildhauerei und die Bewegung hin zu eigenen plastischen Arbeiten ab.
Massivität, Körperarchitektur, Tektonik. Kopf, Ganzfigur, Torso – Hans Vent gewinnt aus Begriffen, die man vielleicht primär mit dem Aufgabenfeld der Skulptur und Plastik verknüpft, ganz eigene Fragestellungen für Malerei und Zeichnung.
Der Maler verspannt seine Bildfiguren in diagonalen, horizontalen und vertikalen Kräfteverhältnissen, Schwebezuständen und Konfrontationen, die obwohl er das Inhaltliche meidet, existentielle Grunderfahrungen des Menschseins zum Ausdruck bringen.
Vents Form- und Figurenmotive erwuchsen aus dem jahrelangen Studium der Figur am Meer, in der Natur, die sich dort in den Polen von Lagern, Ruhen und der Bewegung, dem Aufbruch zeigte. Das Aktive und die Bewegungsmotive im Schreiten, Aufrichten und Berühren eines Gegenübers, das in der Malerei und Zeichnung schon ausgeprägt waren, erfassten auch die Plastik und das Relief.
»Nur durchs Erfinden wird die erlebte Wirklichkeit auf ihre Wahrheit zurückgezwungen.«, schreibt die Schriftstellerin Herta Müller und berührt mit dem Wort vom Zurückzwingen etwas, dass in Vents vitalen Formbehauptungen an Kraft, aber auch an Gewalt enthalten ist.
Christian Ulrich, November 2023
Video zur Ausstellung
Eröffnungsrede von Christian Ulrich als PDF
Ausstellung im Kabinett [3]
Hans Vent und Rolf Szymanski
Sehender Leib
Sehender Leib
3. Juni 2023 bis 8. Juli 2023
Kuratiert von Christian Ulrich
Das Erscheinen, die zeitweilige Präsenz und das Verschwinden von Mensch und Gegenstand ist Teil unserer alltäglichen Wahrnehmung, wie auch Thema unserer Existenz in ihrer Vergänglichkeit. Und in nicht unerheblichem Maße ist es Bestandteil des malerischen Prozesses bei der Entstehung
eines Bildes.
In Vents späten Bildern tauchen die Figuren auf, ähnlich, wie man auch in Gebirge und Wolke figurative Momente auftauchen und verschwinden sehen kann, führt uns der Maler sein eigenes
Figurensuchen in den Flächen- und Farbformationen vor Augen.
»Die Figur zu finden, die ihren Ursprung sucht, ist der thematische Stoff für die Form.«, sagte Rolf Szymanski über seine eigene Arbeit und benennt damit auch eine Schnittstelle zu den Bildern Hans Vents. Dies sind der Anlass und Ansatz beide Positionen gemeinsam auszustellen.
Christian Ulrich, Juni 2023
Eröffnungsrede von Christian Ulrich als PDF
Ausstellung im Kabinett [2]
Hans Vent.
Landschaften Räume
Landschaften
Räume
5. September 2020 bis 24. Oktober 2020
Kuratiert von Claude Keisch
Als Hans Vent (1934−2018) in späten Tagen erklärte, Landschaften »könne er nicht«, er »habe eine malerische Form dafür nicht gefunden«, waren ihm die überlieferten Motivgattungen längst problematisch geworden. Seine Werkentwicklung hatte ihn
weit entfernt von der eindrucksvollen Reihe farbiger und schwarzweißer Landschaften der sechziger und siebziger Jahre: beginnend etwa mit Dorfwinkeln von
kristallinisch fester Struktur, fortgesetzt mit Wald- und Strandsituationen, die sich in zerstreut schwingendem Licht und sprühender Farbe auflösen. Die Figuren und
Gruppen, Jäger und Badende, mit denen diese Szenerien angereichert werden, übernehmen es mehr und mehr, den Raum zu strukturieren, und je nahsichtiger
die Kompositionen werden, je mehr sich im Spätwerk Farbe und expressiver Farbfluß von der Bindung an den Gegenstand befreien, desto mehr geht die gewohnte
Vorstellung von »Landschaft« in der Möglichkeitsform einer abstrakten Raumoffenheit auf.
Claude Keisch, September 2020
Rede zur Eröffnung der Ausstellung
Liebe Freunde der Galerie Amalienpark,
als erstes soll Dank gesagt werden, sehr von Herzen, an die Cajewitz-Stiftung als der Mutter der Hans Vent Stiftung; und an die Künstler des Amalien-Vereins, die so entschlossen beim Aufbau mitgewirkt haben. Kunst macht nicht nur, wie man weiß, »viel Arbeit«, sie belohnt sie auch: Und so war es, wie vor einem Vierteljahr mit Simone Tippach-Schneider und Martin Enderlein, so diesmal mit Liz Kratochwil, Martin und – nach dem letzten Moment rettend – Christian Ulrich. Mit allen dreien ging es weit über technische Tat hinaus auch um hochwillkommenen Rat – eine reine Freude. Dafür meinen Dank und meinen Gruß!.
Und nun einige Anmerkungen angesichts dieser diesmal – im Unterschied zur ersten Kabinettausstellung – sehr unterschiedlichen Bilder. Es geht nicht um »Landschaftsdarstellung«, wie man sie kennt und erwartet, es geht um Raumvorstellungen und wie Vents Malerei sich zu ihnen verhält. Die hier versammelten Arbeiten markieren künstlerische Stationen, die sich über mehr als ein halbes Jahrhundert verteilen, und schon auf den ersten Blick zeigt sich ein fundamentaler Wandel.
Denn sagen Sie selbst: läßt das, was als Auftakt auf dieser Wand aufgereiht ist, lassen die Arbeiten des Sieben‑, Acht, Neunundzwanzigjährigen das Ungestüm der späteren Farbenphantasien erwarten? Häuser, zuerst mit ganz klaren Flächen, bis ins Detail nach Plan komponiert, anfangs sogar konstruiert im Sinne Kurt Robbels, der damals an der Hochschule Weißensee lehrte. Aber schon in der noch sehr regelgerechten rosa-grauen Uckermärkischen Dorflandschaft mit dem gespiegelten Giebel meldet sich ein lebendiges Sachinteresse: der Blick folgt der schräg ansteigenden Dorfstraße bis in den Hintergrund, und das Gebäude links identifiziert sich allein durch die kurze Reihe kreuzförmiger Öffnungen als ein, und zwar backsteinerner!, Speicher. Die Kargheit der Mittel besaß in jenen Jahren eine ethische Dimension.
Aber die Herrschaft der geraden Linien und der Kuben, die abstrakte Lichtgebung, sie werden abgelöst durch ein dichtes Federgekritzel, eingenebelt in einer schwer definierbaren Mischung von Wasserfarbe und Graphitstaub. Man muß nur die Giebel miteinander vergleichen: auf den wenig jüngeren Blättern wird ihr Umriß weicher, mürber, der Raum wird verschattet, die Motive erhalten unterschiedliches Gewicht und Präsenz. Zwei dieser Kompositionen zeigen dieselbe umzäunte Häusergruppe, man erkennt denselben Hügel links, die auffallenden drei Bäume – im Abstand von ein, zwei Jahren zweimal variiert, sicherlich im fernen Atelier nach einer Skizze, die der Phantasie ihre Freiheit ließ. Dabei verstärkt der zweite, beherztere Zugriff die Raumtiefe, den Kontrast von Nah und Fern, die Staffelung der Motive. Dabei neigt sich und schwankt unmerklich alles. Seiner Form sicherer geworden, läßt sich der Zeichner unbefangen auch auf das Erzählen ein: klobige Striche »erzählen« die angelehnte Leiter, sie erzählen den aus den Angeln fallenden Fensterladen. (Dasselbe Motiv ist auf der älteren Zeichnung vorgeprägt, aber verzagt vorgetragen, so daß er anekdotisch bleibt). Und der tiefe Schatten, der alles einhüllt und hinter den Baumstämmen undurchdringlich wird, schenkt dem Dorfmotiv eine zeitlose Hintergründigkeit – im Doppelsinn des Wortes – , die um dieselbe Zeit ähnlich bei dem Altersgenossen Horst Sagert bemerkbar ist.
Wenige Jahre darauf: die Farbe! Die Maler dieser Generation in Berlin, in Dresden träumten vom Vorbild der französischen Impressionisten, von Cézanne vor allem. Für sie hieß Landschaft zu allererst Licht, Farbe und beider Wechselverhältnis. In dieser Richtung erreicht Hans Vent schon um die Mitte der Sechzigerjahre Erstaunliches.
Ein Blatt von 1968 bietet ein Schlachtfeld der Farbe: wild Hingefegtes, Gewischtes, Gekratztes – ein Chaos, das sich dem Blick bald als ein ansteigendes Feld unter bedrohlichem Himmel erweist; und wer sich nicht zu früh abgewendet hat, entdeckt, überrascht, unten, wie ein Ton aus anderem Register, wie eine Pikkoloflöte mitten im Sturm der Bässe, das feine Gestrichel paralleler Linien von roter, violetter, grüner, gelber Farbe, das sich still und unbekümmert durch das schlängelt, was man wohl den Vordergrund nennen darf.
Dieses Vokabular ist in einer Reihe meisterlicher Temperabilder in den Sechzigerjahren entwickelt worden, von denen hier zwei ausgestellt sind: als ein Gewirk aus leuchtend farbigen Parallellinien, Schrägen, Kurven und Kringeln, Schlangenlinien, strichartig fein oder breitpinselig naß aufgetragen und stellenweise sogar ausgewaschen. Ein reiches Vokabular, ja, aber, um im Bild zu bleiben, auch eine Grammatik und eine Syntax, eine verdeutlichende Interpunktion wie in dem Bild der skurrilen, erstaunlich alltagsnahen Jäger neben ihrer Beute, oder ein freies Assoziieren von Halbsätzen wie in dem Erntebild, das eine Gestalt halb preisgibt, während eine zweite sich nur durch die Form eines Hutes andeutend meldet – in hochsommerlichem Gold erstrahlend, im Unterschied zum rotgrünen Halbschatten des Nachbarblattes. Das ist Vents eigenwillige Interpretation jenes Gedankens der Zerlegung des Lichts in reine Farben, wie sie, jeder anders, Seurat, van Gogh, Ensor, Segantini erprobt haben.
Auf der Einladung zu diesem Abend haben Sie schon eine Collage gesehen, die Vents Landschaftsprogramm einprägsam formuliert. 1977 hat er zwei Blätter zusammengeführt, ein Aquarell und eine Kohlezeichnung, reine Landschaft und Akt, und dabei für einen Übergang gesorgt: die Beine der Figur gehen über in die Schräge eines Hügels. Vents vollkommene Kenntnis der nackten Figur – dank zahlloser Modellstudien und noch mehr dank ihrer Beobachtung in freier Bewegung – hat den Rollenwechsel möglich gemacht. So wird die altvertraute greifbare Motivik der Landschaft, werden die Bäume, die Wolken, alles, was über Nähe und Ferne und Stimmung Auskunft gibt, ersetzbar durch Figuren und Gruppen in hundertfach wechselnden Anordnungen, durch Körper, die Raum und Licht nicht verdrängen, sondern aufnehmen in einer entgrenzten Welt, die nur die Malerei möglich macht.
Es sind typischerweise Strandszenen, die es ermöglichen, »Menschen am Strand«, wie der halb unbeholfene, halb bekenntnishafte Titel des großen Wandbildes für den Palast der Republik lautet. Es geht aber auch vor den Häuserkuben der Großstadt mit rauchenden Essen aus dem Repertoire der Holzschnitte Frans Masereels. Obwohl es, wie man sieht, auch im Schwarzweiß geht, erweist sich doch die Farbe als das fruchtbarste Medium. Hier sieht man zwei Zeichnungen von 1979, die an die tanzenden Farblinien, den bunten Parallelstreifen und Arabesken der Temperabilder aus den Sechzigern anschließen, nur ist hier alles viel lockerer, improvisierter, beiläufiger. Freie farbige Konturlinien bezeichnen die Körper und ihr Nachhall sind farbige Randbegrenzungen.
Was aber solche Blätter entschieden von den Gouachen trennt, ist, was ich eben ihre Beiläufigkeit genannt habe – Prozeßhaftigkeit, wenn man es spitzer ausdrücken will. Nicht als jeweils geschlossene, autonome »Werke« treten diese Arbeiten der zweiten Schaffenshälfte auf, vielmehr wie Treibgut in einem großen Strom, wie ein endloses Erproben, jede Variante offen genug, um die nächste herbeizurufen, jedes Motiv vieldeutig genug, die Phantasie jenseits aller konkreten Vorgänge zu entzünden. Es können nackte Figuren und Gruppen sein, ebenso können es Köpfe sein – losgelöste Köpfe ohne einen vorstellbaren Körper wie diese beiden: einer in lastender Materialtät vor Hügeln, der andere schwebend: erscheinend oder sich vielleicht auch auflösend – wir wissen es nicht. In der Unruhe solcher Bilder gewittert das ferne Drama.
Was ist aber von Hans Vents Erklärung aus späten Tagen zu halten: »Landschaften kann ich nicht, ich habe eine malerische Form dafür nicht gefunden […] das heißt, ich weiß nicht, wie ich das machen soll«? Tatsächlich, von der »Landschaft« im erwarteten Sinne, als Gegenstand hat er sich früh verabschiedet, was blieb war Landschaftlichkeit, war die homöopathisch entstofflichte, aber umso intensiver nachwirkende Erfahrung eines Ereignisraumes, in dem Stoff, Form, Sinn zu Einem werden.
Claude Keisch, September 2020
Ausstellung im Kunsthaus sans titre
Hans Vent & Mikos Meininger »Berührungen – Paare«
Bilder und Skulpturen
Ausstellung vom 6.9. bis 27.9.2020
im Kunsthaus sans titre, 14467 Potsdam, Französische Str. 18
Einführung: Ulla Walter
Kuratorin der Ausstellung
Ausstellung im Kabinett [1]
Hans Vent – Unvermutete Begegnungen
Späte Arbeiten auf Papier
5 Juni bis 11. Juli 2020
Erste Ausstellung der Reihe mit Arbeiten von Hans Vent im Kabinett der Galerie.
Kuratiert von Claude Keisch
Obwohl das eigenwillige, von Moden wie von ideologischen Vorgaben unabhängige Werk des Berliner Malers Hans Vent (1934 – 2018) durch Ausstellungen und Publikationen wohlbekannt zu sein scheint, ist seine Tiefe und Vielfalt noch keineswegs erschlossen: dies wird eine Folge von Kabinettausstellungen aus den reichen Beständen der Hans-Vent-Stiftung zeigen. Die erste Auswahl widmet sich dem hohen Anteil der Improvisation an seinem späten Schaffen.
Während Vent zunächst lange, bei aller Freiheit der Farbe und (De)Form(ation), den klassischen Kompositionsverfahren und dem einheitlichen Bildraum treu geblieben ist, setzte sich im Alterswerk, vor allem in den farbigen Papierarbeiten, ein vorsätzlich intuitives, ungeplantes, experimentierendes Vorgehen durch. Jenseits aller Plausibilität stoßen disparate Köpfe, Körper, freie Formen aneinander, deren überraschende Anordnung die Logik einer Raumeinheit ignoriert und eine beunruhigend fluide Traumwelt entstehen lässt.
Claude Keisch, Mai 2020
Rede von Claude Keisch zur Eröffnung Kabinett [1]
Hans Vent: Unvermutete Begegnungen. Späte Arbeiten auf Papier
Da diese erste Auswahl aus dem reichen Vorrat der Hans-Vent-Stiftung bei der mir Christina Renker anregend beigestanden hat, eine längere Erkundung des Lebenswerkes einleitet, darf man den Titel »Unvermutete Begegnungen« auch metaphorisch als ein Versprechen für die nächsten Jahre verstehen: Unvermutetes steht bevor.
Aber noch unmittelbarer meint dieser Titel natürlich, was in den Bildern selbst vorgeht: aus ihrem Zusammenhang entlassene Bruchstücke, divergierende inhaltliche Verweise, Anordnungen mit allen Zeichen der Vorläufigkeit, Motive kopfunter und unvermittelt schräg, Umrisse gedoppelt und frei zur Wahl gestellt; und Motive von unterschiedlicher malerischer Präsenz vereinigt, als gälte für jedes eine andere ästhetische Spielregel; manches bleibt, amorph, bloße Vermutung 1. Begegnungen in einem Raum jenseits der Logik, ohne Kubik, dessen einzige Dimension seine Farbe ist!
Eröffnungsrede Fortsetzung
Dieselben breiten Borsten, die parallele Farbstriche und Farbstrahlen und kurvige oder winklige Umrißfragmente über die Fläche verteilen, erzeugen auch wohlig weiche, glatte, leuchtende Farbräume: eine entschwerte, entgrenzte, stellenweise fruchtig süße Raumfarbe, aus der sich Gestaltfragmente lösen – und schon wieder vergehen, ehe die Andeutung einer Beziehung, einer Geschichte, eines Konfliktes sich vor unseren Augen konkretisiert hat. Eine Walpurgisnacht: »Schweben hin, schweben her, neigen sich, beugen sich…«. Was diese Bilder erzählen, bleibt flüchtig, nicht eingrenzbar, und doch vernimmt man immer das emotionale Hintergrundrauschen, ob dramatisch oder verträumt oder düster-bedrohlich… Dazu: die imposante Überlebensgröße, obwohl alles »nur« auf Papier anstatt auf Leinwand gemalt ist. Ein donnernder Auftritt, und dazu die feine Malkultur: eine ungewohnte Kreuzung von Berserker und Gourmet, die an den großen Max Beckmann denken läßt. Soll man nun in diesem Verharren der Bilder zwischen Sein und Nichtsein einen »unvollendeten« Zustand vermuten? Das wäre wohl die falsche Kategorie. In früheren Jahren, ja, da achtete Vent auf den Moment im Werkprozess, wo Aufhören (etwas anderes als Aufgeben!) angebracht ist, weil, wie er damals aufschrieb, »durch mehr Dazutun das Bild zu genau, zu naturalistisch wird und damit seinen künstlerischen Sinn verliert«. Das war ein Punkt, aber damals hatte er noch die geplanten »Kompositionen« im Auge. Mit ihnen war er wohlvertraut, im kleinen wie im großen Format. Dem großen Wandbild für den Palast der Republik gingen Entwürfe und Teilstudien voraus, während mehr als dreißig Jahre später das Wandbild für die Cajewitz-Stiftung, hier ein paar Häuser weiter, aus dem Stegreif von links nach rechts dahinimprovisiert wurde. Improvisieren: das ist das Stichwort. In dem italienischen Wort steckt die Bedeutung »unvorhergesehen«. 2 Über den Segen des Improvisierens, das in der Musik, der Literatur, auf der Bühne eigene Gattungen hervorgebracht hat, 3 hat niemand so einleuchtend und so vergnügt geschrieben wie Heinrich von Kleist unter dem programmatischen Titel »Allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden«, wohlgemerkt Verfertigung nicht bloßer Worte, nein: der Gedanken selbst. Man muß es nachlesen, wie er die »allmähliche« Geburt eines berühmten historischen Donnerworts nachzeichnet, das noch vor dem Sturm auf die Bastille die Konstituierung einer gesetzgebenden Versammlung gegen ein striktes königliches Verbot durchsetzte: da ergreift in gefährlicher Minute der Jakobiner Graf Mirabeau das Wort, ohne, das schält Kleist Satzteil für Satzteil heraus, eine Idee davon zu haben, was er sagen wird und wie; und wie er sich tapfer, Teilsatz für Teilsatz, mit Nichtssagendem durchquält – bis zur Erleuchtung, zu dem umstürzlerischen »Wir sind die Repräsentanten der Nation« und zum Gipfelpunkt: »daß wir unsre Plätze anders nicht, als auf die Gewalt der Bajonette verlassen werden.« 4 Punkt. Was man daran erkennen und auf diese Bilder hier übertragen kann, das ist die Unentbehrlichkeit der tastenden Ansätze für die Schlußwirkung: denn das panische Stammeln aufs Geratewohl wird erst im Nachhinein, nachdem es wohlgeraten ist, als eine ästhetisch wie emotional »notwendige« Aufgipfelung wahrgenommen: da hat die reine Not eine Glut erzeugt, an der sich die Rakete entzündet. Die Situation ist alles, die Vorbereitung nichts. Das ist die Gnade der Improvisation. Und die erlebt Hans Vents eigenwilliger (eigen-williger) Pinsel: schon mit Farbe belastet, weiß er noch nicht, wohin er sie tragen wird, er wird es erst wissen, wenn er das Papier berührt – und wird dabei dem Maler immer noch um eine Viertelsekunde voraus sein – da, hic salta, sind die Würfel gefallen, und schon ist der nächste ungewisse Wurf fällig, daher die Spannung. Ein gewagtes Spiel. Und, so betrieben, ein ernstes, ein problemhaltiges Spiel, an dessen Horizont nichts Geringeres steht als die Utopie des einen, des vollkommenen Werkes, des »Meisterwerks«, an der in Balzacs berühmter Erzählung ein Maler von höchstem Ethos scheitert, weil er sich auf die perfekte Ausführung versteift hat. Umgekehrt haben Genies moderner Kunst, haben Cézanne, Rodin systematisch Arbeiten formal unbeendet gelassen und neu angesetzt – und alle Zweifel ausgehalten. Auch und gerade bei ihnen hat der Kunsthistoriker Hans Belting den Glauben an das »absolute« Werk erkannt, einer Vollendung und Endgültigkeit, die aber unter den Verhältnissen der Moderne keinen Platz mehr hat und an deren Stelle eine Folge von »Entwürfen« tritt, die »auf keine endgültige Gestalt mehr angelegt« sind, kurz: eine »werklose Vision von Kunst« – gar nicht so fern von Goethes Wort, alle seine Arbeiten seien »Bruchteile einer großen Konfession«. Da die Improvisation kein Planen vorsieht, wurzelt sie in keiner Vergangenheit, und da sie umgekehrt – soll ihre Substanz lebendig bleiben – nicht zum Entwurf taugt, verspricht sie keine Zukunft; und so ist sie ausschließlich eine Gegenwart – in der alles auch ganz anders sein könnte, werden kann. Noch. Welche Hoffnung! Von ihr kann sich ein Künstler gerade im Alter besonders angezogen fühlen – sofern ihm die innere Souveränität dazu gegeben ist. Das als Betrachter nacherleben zu dürfen: was für ein Geschenk, und wie ermutigend! Eröffnungsrede 5. Juni 2020 Claude Keisch